Auf der Straße

Zwei männliche Passanten im vorgeschrittenen Alter treffen sich auf der Straße

Entschuldigen Sie...

Ja, bitte?

Können sie mir bitte sagen, wie ich hier zur Gertrudenstraße komme?

Zur Getrudenstraße, ja, das kann ich! Allerdings unter einer Voraussetzung.

Unter einer Voraussetzung? Wie soll ich das verstehen?

Nun, sie müssten mir sagen, was sie in der Getrudenstraße wollen.

Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein. Weshalb interessiert es sie, was ich in der Gertrudenstraße will?

Das ist ganz einfach: es könnte doch sein, dass sie vorhaben, dort zum Beispiel eine Bank zu überfallen oder einen Supermarkt auszurauben! Und wenn ich ihnen den Weg dorthin zeige, bin ich vielleicht noch mitschuldig!

Ich bitte sie, wie kommen sie zu solch einer absurden Annahme? Sehe ich etwa aus wie ein Räuber oder Erpresser?

Also, wenn ich ehrlich sein soll: Nein. Aber das sagt gar nichts, denn: manche, die so aussehen als ob sie es wären, sind es nicht, und manche die es sind, sehen nicht so aus, als ob sie es wären. 

Also das ist schon eine eigenartige Theorie. Sagen sie mal, so ganz ernst nehmen kann ich das nicht, was sie da sagen.

Ja, das stimmt, es sollte mehr ein vielleicht etwas schlechter Scherz sein. Aber wissen sie, ich bin normalerweise ein sehr schüchterner Mensch, alleinstehend, und habe wenig Kontakte, weil ich mich nicht traue, jemanden anzusprechen. Werde ich aber einmal angesprochen, dann versuche ich alles, um diesen Kontakt auszudehnen. Deshalb das Gespräch mit ihnen. Übrigens, in der Getrudenstraße gibt es weder eine Bank, noch einen Supermarkt. Also zur Gertrudenstraße gehen sie...

Entschuldigen sie, wenn ich sie unterbreche. Aber ich will gar nicht zur Gertrudenstraße. Sehen sie, das ist eine seltsames Zusammentreffen. Meine Frau ist vor einem Jahr gestorben, und seitdem habe ich praktisch kaum noch zu jemanden Kontakt. Manchmal rede ich tagelang mit niemanden. Dann spreche ich schon mal einfach jemanden auf der Straße an und bitte ihn um irgendeine Auskunft. Und manchmal habe ich das Glück, dass sich ein kurzes Gespräch ergibt, wenn auch noch nie solch ein originelles wie mit ihnen.

Also, das kann keine Zufall sein! Das ist ein schicksalhaftes Zusammentreffen. Könnte daraus nicht eine Freundschaft werden? Ich lade sie herzlich ein, mit in die Gertrudenstrasse zu kommen. Da gibt es eine nette Cafeteria. Und eine Tasse Kaffee oder ein Cognac, oder auch beides, stehen jederzeit zur Verfügung.

Einverstanden, gehen wir...!

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